Eindrücke unseres Freundes Pater Hermann Josef
aus Brasilien von einem Gemeindebesuch in seinem
letzten Brief an uns im Eine-Welt-Kreis St. Laurentius
Gestern Abend auf der Gemeindeversammlung kam eine arme Frau mit Namen Wilma mit ihrer Tochter Altinha und bat um Hilfe. Unsere Gemeindeversammlung ist offen für Hilfe, Gebet und Bibelteilen und gleichzeitig gibt sie Gelegenheit, am Leben und den Sorgen der Leute teilzunehmen. Die Frau bat um Nahrungsmittel und einen Gasbehälter, um das Essen auf dem Gasofen kochen zu können, statt mit Holzkohle,was bei Regenwetter viel Rauch in der Wohnung verbreitet. Alle fühlten das Leid der Frau und stimmten zu, dass ihr geholfen werden müsse.
Eine Frau, mit dem Namen Graça, war bereit, Lebensmittel zu besorgen. Sonntag werden wir bei der Messe die Leute zur Hilfe einladen, damit sie den Gasbehälter mit Gas kaufen kann.
Heute besuchte ich sie. Ich wollte ein wenig besser die Lebenssituation der Familie kennenlernen. Leider war keiner zu Hause. Ein kleines Mädchen von fünf Jahren, mit dem Namen Valquíria, kam aus dem Nachbarhaus. Während keiner der Erwachsenen dna. Wilma kannten, da sie erst kurze Zeit hier wohnt, zeigte mir Valquíria den Weg. Es war eine steile, herabführende Gasse mit Abwässern und da es geregnet hatte, mussten wir aufpassen, nicht auszurutschen. Nach rund fünfzig Metern zeigte mir Valquíria die Hütte. Sie klopfte mehrmals an die Tür, aber niemand antwortete. Dann sagte sie mir, dass ich mich da auf einen Stein setzen sollte, denn die dna. Wilma werde bestimmt bald kommen. Und damit verabschiedete sie sich und ich dankte für ihre freudige Hilfsbereitschaft.
Nur hielt ich es nicht länger als zwei Minuten aus. Dann setzte ich meinen Weitergang fort.
Antwort St. Laurentius-Eine-Welt-Kreis:
Lieber Pater Hermann Josef,
Wir danken Dir herzlich, dass Du uns teilnehmen lässt an der wunderbaren Hilfe der Gemeinde z. B. für Wilma an Pfingsten im Gottesdienst, sodass sie wieder Essen kochen kann für ihre Tochter Altinha. Wie schön zu hören, dass die Gemeindeversammlung das Leid dieser Frau gesehen und Hilfe organisiert hat. In unseren Gottesdiensten fehlt dieses Element der Diakonia leider regelmäßig und Ihr seid uns darin weit voraus.
Danke auch für den kurzen Bericht von Deinem Weg mit der fünfjährigen Valquiria, die Dir mit Freude und Sachkundigkeit den glitschigen Weg zu Wilmas Hütte über die Gassen, die von Regen und Abwässern aufgeweicht waren, gezeigt hat. Und die für Dich anklopfte und dann sagte, Du solltest dich auf einen Stein setzen und warten, Wilma komme bestimmt bald zurück. - Wie viel Zeit und Ruhe dieses fünfjährige Kind hat! Und wie ähnlich ich mich Dir fühle, wenn Du schreibst: "Nur hielt ich es nicht länger als zwei Minuten aus". Wir sind so oft getrieben von unserer Ungeduld ... Wenn Du sie wieder siehst, grüße Valquiria von uns. Ihre Lebensfreude hat auch uns geholfen.
Pater Hermann Josef schreibt weiter:
Gleich in der Nähe wohnt dna Alaíde. Ich wollte sehen wie es ihr ging. Vor Monaten war sie an Krebs operiert worden. Ich half ihr, eine Krankenunterstützung von der Regierung zu bekommen, aber bis jetzt erhielt sie noch keine Antwort. Alaíde war nicht zu Hause und nachher erfuhr ich, dass sie zu einer ärztlichen Untersuchung gegangen war. So ging ich weiter.
Die Wege waren glitschig und an mehreren Stellen liefen auch Abwässer über den Weg, außer dem Regenwasser der letzten Tage. Ich komme am Haus von Mateus vorbei, einem Jungen der Messdiener ist und dabei ist, Gitarrenspielen zu lernen. Auch hier war keiner zu Hause. Als ich weiterging, kamen sie auf mich zu: die Mutter, zwei andere Kinder und Mateus. Alle hatten Plastiktaschen voll Einkaufssachen. Da dachte ich gleich daran, dass es die Zeit der Politiker ist, ihre Geschenke zu verteilen.
Dann ging ich weiter und treffe dna. Wilma mit ihrer Tochter. Sie war in einer Gruppe von anderen Frauen und alle begrüßten mich. Sie trug in der Hand einen Plastikeimer voll Suppe, die sie von einer Frau erhalten hatte, die evangelisch ist und gern den armen Leuten hilft. Sie sagt, sie habe ein Gelöbnis gemacht, den Armen zu helfen, nachdem im Vorjahr ihr Sohn tragisch am Strand von João Pessoa beim Schwimmen im Meer ertrunken ist.
Antwort St. Laurentius-Eine-Welt-Kreis:
Gern würden wir auch Mateus und seine ganze Familie grüßen: sie werden sich von den Geschenken der Politiker nicht verblenden lassen. Und Alaide, der wir in ihrer Krankheit viel Energie und gute Unterstützung durch die Gemeinde wünschen.
Und bitte grüße auch Wilma und besonders ihre evangelische Helferin: es ist sehr bitter, seinen Sohn zu verlieren und ich freue mich mit ihr, dass sie gern den Armen hilft und wünsche ihr, dass sie Trost findet in dieser Hilfe, auch durch Gespräche mit Euch Katholiken. Wir sehen in unseren Gemeinden in Deutschland, dass die evangelischen und katholischen Traditionen zwar verschieden sind; aber die Nähe derer, die Trost spenden und helfen, ist viel größer und führt uns gemeinsam zum Ziel der Versöhnung der Konfessionen.
Pater Hermann Josef schreibt weiter:
Alles geht mir so durch den Kopf. Die Not des Überlebens kennt keine Grenzen von Religion oder Politik. Und wenn die Not sehr groß ist, dann überlegt man keine möglichen Alternativen, weil die Not im Vordergrund steht. Die Folge ist, dass die Armen immer mehr in Abhängigkeit geraten. Einige werden passiv und nehmen die Situation apathisch als Wille Gottes an. Andere nutzen die Situation aus, ohne sich nach den Folgen zu fragen. Nur wenige versuchen, sich über die Situation Gedanken zu machen, sich zu vereinen und neue Wege zu suchen.
In unseren Basisgemeinden versuchen wir, im Licht des Wortes Gottes solche Wege aufzuzeigen, ohne uns zu verschließen, wo Direkthilfe nötig ist. Wir träumen weiter, dass der Tag kommt, an dem alle, ohne Unterschied von Politik, Rasse und Religion, sich vereinen, um gemeinsam in Brüderlichkeit die Probleme von Droge, Gewalt, Korruption, Arbeitslosigkeit, Umwelt und all die Formen von Marginalisierung zu überwinden.
Dieses sind Projekte, die über die augenblickliche und individuelle Not hinausgehen. Es sind Projekte, die viel Mut und Glauben, Bewusstsein und Durchhaltevermögen fordern.
Dabei fühlt man sich oft zu klein und zu schwach. Deshalb müssen wir immer zum Jakobsbrunnen zurückkehren, zusammen mit der Samaritanerin, um uns mit unserem Großen Bruder zu treffen, der uns seinen Hl. Geist verspricht.
Gerade komme ich vom Haus von Joselma. Sie hatte gestern eine weitere Untersuchung gemacht, weil sie sich krank fühlt, die Beine schwach und neu angeschwollen sind. Ich übergab ihr eine Spende, um die verordneten Medikamente kaufen zu können. Ihr Sohn, der jung verheiratet ist, war dabei, einen kleinen Stand vor dem Haus einzurichten, um Kleinigkeiten zu verkaufen, um der Mutter zu helfen. Er selbst arbeitet in der Woche als Maurer-Gehilfe. Die Tochter verteilt im Stadtzentrum Propagandazettel von Großgeschäften und anderer Unternehmen.
Antwort St. Laurentius-Eine-Welt-Kreis:
Am meisten bewegt mich bei Deinem Bericht aus den Basisgemeinden die Energie, nach Lösungen der "sündigen Strukturen" zu suchen. Dabei sieht jeder, dass diese Energie eigentlich gar nicht da ist. Sie fehlt. Wo sie doch da ist, da scheint sie "nicht von dieser Welt" zu kommen, sie wird uns geschenkt und oft bemerken wir das erst, wenn wir mit einander darüber sprechen. Auch das scheint zwischen den Zeilen Deines guten Briefes durch.
Und bitte grüße auch Joselma mit ihren Kindern und ihrer Schwiegertochter, die sie so hilfreich unterstützen.
Pater Hermann Josef schreibt weiter:
Beim Nach hause gehen sprach mich auf der Straße eine Frau an. Sie war in einem heftigen Gespräch mit einem Mann. Dann wandte sie sich mir zu und sagte,dass die dna. Joselma vom Teufel besessen sei, und gar keine Hilfe brauchte. Sie hieß Jannette, und sagte, dass sie fast einen Schlaganfall bekommen habe, so frech habe die kranke Joselma sie behandelt. Dabei sei sie nur scheinheilig und gar nicht so krank wie sie vorgebe. Auch ginge sie jeden Tag von morgens bis abends zum Kult einer Sekte, der sie angehöre.
Ich muss gestehen, dass ich über die Aggressivität geschockt war. Dann erfuhr ich, dass die alte Mutter von ihr im Nachbarhaus von Joselma wohnt und Jannette gleichzeitig auf einen geisteskranken Bruder aufpassen muss.
Vielleicht wollte sie mich überzeugen, dass ich mich nicht mehr um Joselma sorgen sollte. Vielleicht sagt sie das alles, damit ich mich ihrer Situation annehme.Wegen der Härte ihres Urteilens Joselma gegenüber erinnerte ich sie an die Worte Jesu, dass wir Verzeihen lernen müssen.
Nur Gott kennt die Herzen eines jeden und wir dürfen nicht verurteilen. Gott verzeiht uns in dem Maße, in dem auch wir zum Verzeihen bereit sind.
Nun bin ich wieder im Konvent und habe Zeit, all die Eindrücke zu verarbeiten. Gleich werde ich die hl.Messe im Kinderheim feiern.
Auf dass der Geist Gottes uns immer neu Kraft und Freude schenken möge.
Mit den besten Wünschen
O amigo da Caminhada (der Freund auf dem Weg)
Hermann-Josef
Antwort St. Laurentius-Eine-Welt-Kreis:
Die Schwierigkeiten sind groß. Die Probleme von Drogen, Gewalt, Korruption, Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung ... die vielfältigen Formen des an-den-Rand-Drückens von Menschen lasen sich nicht schnell überwinden. Und natürlich brauchen wir sehr langen Atem. Und wir werden gestorben sein, bevor alle Lösungen verwirklicht worden sind.
Aber wenn wir anfangen - und Ihr habt ja längst angefangen und Ihr macht immer wieder weiter -, dann ist etwas spürbar, das unvergesslich ist: Es zeigt sich in deinem Brief und ich finde es darf bei aller Bescheidenheit und Scheu vor großen Worten doch 'ein Stück vom Reich Gottes' genannt werden. Es ist nicht vollständig da, das sehen wir überall, auch hier.
Aber - so lesen wir -, wenn Menschen sich in solcher Liebe begegnen und mit Gottes Hilfe die Dämonen (der Bosheit, Gier, Hoffnungslosigkeit, der üblen Nachrede und der Gewalt) austreiben: "dann ist doch das Reich Gottes schon zu Euch gekommen" (Lk 11.19).
Das sehe ich auch in deinem Bericht, lieber Hermann Josef, und dafür bin ich dankbar.
Ein kurzer Gedanke noch zum Sprechen über Dämonen:
Lange habe ich nicht verstanden, was die Bibel damit sagen will. Heute verstehe ich zumindest, dass das Negative der Dämonen eben etwas Anderes und Fremdes ist, das nicht in der Person selbst liegt. Das ist wichtig, denn normaler Weise lehnen wir diese Menschen wegen ihrer Taten ab.
In den biblischen Berichten gelingt es jedenfalls, dieses Negative zu vertreiben, eben "aus zu treiben". Damit ermöglicht diese Sichtweise, das Schlechte und Böse nicht in der Person zu sehen.
In diesem Sinne grüße bitte auch die gütige und freundliche Jannette, die mit der Betreuung ihres seelisch kranken Bruders eine wichtige und schwere Aufgabe übernommen hat, die uns oft an unsere Grenzen führt, und die man kaum allein schaffen kann. Wir wünschen ihr starke Gemeindemitglieder, die sie entlasten und "die Geister unterscheiden" können.
Deine Wünsche sind angekommen. Vielen Dank
Herzliche Grüße von allen im Eine-Welt-Kreis, Frank