»Denn ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben.« Jeremia 29,11

"Nicht aufstehen ist keine Option"

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"Nicht aufstehen ist keine Option"

"Nicht aufstehen ist keine Option"

Dass er an diesem Abend hier sei, seine Geschichte erzähle und nicht müde werde, für Aufklärung und Aufarbeitung in einem stoischen Machtapparat zu kämpfen, der ihm derartige seelische Wunden zugefügt habe - das bewundere sie zutiefst, sagte die Frau aus dem Publikum zu Martin Schmitz. "Warum sind Sie nach diesen Erfahrungen nicht Terrorist geworden?"
Eine Frage, die nach der offenen Lesung Martin Schmitz' aus seinem Buch "Der dunkle Hirte" den meisten Anwesenden kaum abwegig vorgekommen sein dürfte. 
Wut, so Schmitz, habe er tatsächlich erst viel, viel später im Rahmen seiner Therapie verspürt. Vorher waren da Leere, Verdrängung, Verzweiflung. "Es geht mir darum, dass sich etwas ändert. Es gibt eine neue Offenheit in der Gesellschaft für das Thema, das ist spürbar. Aber es muss sich etwas an den Machtstrukturen der katholischen Kirche ändern. Das sehe ich bislang nicht."

Die Autorenlesung und der anschließende Gesprächsabend mit Martin am Freitagabend in der Kirche St. Marien ließ die zahlreichen Besucher tief berührt zurück. Mit großer Offenheit berichtete der 62-Jährige von den immer grausamer werdenden Übergriffen des damaligen Rheder Kaplans Heinz Pottbäcker, die er als Messdiener über sich ergehen ließ. "Der liebe Gott hat es doch gern, wenn zwei Menschen sich so lieb haben", habe der Geistliche dem verstörten Jungen ins Ohr geraunt. Und Martin, der in seinem Elternhaus schon früh erfahren hatte, das Liebe ihren Preis hat, hielt still. Hielt aus. Und zerbrach innerlich.

Irgendwann war Pottbäcker weg, versetzt. Nicht zum ersten und lange nicht zum letzten Male. Für Martin setzte sich der Alptraum fort. Verdrängung, Flashbacks, Depressionen, Selbstmordversuche, neue Hoffnung, Rückschläge. Erst eine Traumatherapie viele Jahre später brachte den Architekten und Familienvater nachhaltig ins Leben zurück. Er gründete eine Selbsthilfegruppe, deren Einzugsbereich inzwischen über das gesamte Münsterland reicht, und kämpft für die Opfer des Missbrauchs, der durch systematisches Versagen der katholischen Kirche stattfinden konnte - und kann. "Nicht aufstehen ist keine Option. Es ist noch nicht vorbei." 

Moderiert von Cäcilia Scholten und musikalisch großartig untermalt von Dorothea Zurhove am Cello und ihrem Vater Werner Bauer am Klavier, war dieser Abend in der Kirche St. Marien ein Plädoyer für Umbrüche in der katholischen Kirche. "Die Führung muss ein ganz anderes Verständnis für das Thema bekommen", so Martin Schmitz.

Im Rahmen des Abends waren auch die Tafeln des Kunstprojektes "un_GLAUB_lich" von Christa Maria Kirch zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche ausgestellt. Diese sind noch bis zum 6. August in der Kirche St. Marien zu sehen. 

Am 6. Juli und am 3. August stehen von 17 bis 18.30 Uhr Gesprächspartner zum Thema in der Kirche zur Verfügung.